Kürzlich wurde zum 31. Mal der Kasseler Bürgerpreis »Das Glas der Vernunft« verliehen. Mit diesem Preis wollen die Bürger*innen der Region Kassel bewusst machen, dass mit Vernunft und Toleranz ideologische wie religiöse und politische Schranken überwunden werden können. Daher wird der Preis an Personen oder Institutionen vergeben, die mit ihrem Wirken den Idealen der Aufklärung – Überwindung ideologischer Schranken, Vernunft und Toleranz gegenüber Andersdenkenden – in besonderer Weise dienen. Die diesjährige Preisträgerin ist Bénédicte Savoy. Sie ist Kunsthistorikerin, Leiterin des Fachgebiets Kunstgeschichte der Moderne an der Technischen Universität Berlin und ist einerseits durch ihre Forschungen zu kolonialer Raubkunst und andererseits durch ihren politischen Einsatz für die Restitution geraubter Kunstwerke bekannt geworden. Sie hat wesentlichen Anteil daran, dass sowohl Frankreich als auch die Bundesrepublik mit der Rückgabe von Raubgütern an die Republik Benin und an Nigeria begonnen haben. Das Time Magazine zählte sie zu den einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres 2021 weltweit.
Wie schon seit 2014 jährlich, veranstaltete das Kasseler Jugendsympo-sion zusammen mit dem Förderverein »Das Glas der Vernunft« auch dieses Jahr am Tag vor der Preisverleihung eine Begegnung der Preisträgerin und ihrer Laudatorin mit Jugendlichen aus Waldorfschulen und umliegenden Gymnasien.
Die Jugendlichen erlebten zwei Menschen von ungewöhnlicher geistiger Präsenz und Zugewandtheit, denen es mit dem Anliegen der Restitution weniger um die Vergangenheit als um die Zukunft geht. Eine Schüle-rin sagte nach der Veranstaltung über Bénédicte Savoy: »Diese Frau macht mich glücklich«. Das Thema der Restitution geraubter Kunst steht in dem weiteren Kontext der gesellschaftspolitischen Debatte um eine zu leistende Dekolonisierung der Gesellschaft, bestimmter Macht- und Gewaltverhältnisse, vor allem aber verbreiteter Urteils- und Denkgewohnheiten. An der Aufmerksamkeit der Jugendlichen, an ihren Fragen und Gesprächsbeiträgen konnte man erleben, wie unmittelbar sie von dieser Thematik angesprochen und berührt werden. Sie erleben, dass sie Teil eines umkämpften gesellschaftlichen Wandels sind, der sich langsam, schrittweise, aber doch merklich in eine Zukunft hinein vollzieht, die sie bereits in sich tragen.
Waldorfpädagogik hat zum Ziel, eine schulische Umgebung zu schaffen, in der die Zukunftskräfte, die in den Kindern liegen, sich entfalten können. Sie will auf diese Weise an der gesellschaftlichen Entwicklung mitwirken. Wie steht es um die Entkolonialisierung der Waldorfschule? Dieser Frage, in der zugleich eine Aufgabe anklingt, geht Martyn Rawson in seinem le-senswerten Essay nach, der mehr als Suchbewegung denn als programma-tische Schrift erlebt werden kann. Suchend und fragend, weniger selbst-gewiss und selbstgerecht, gewissermaßen zukunftsoffen begegnen uns auch die anderen Autorinnen und Autoren dieses Heftes.
Ich wünsche Ihnen eine anregende, impulsierende Lektüre.
Florian Stille
Inhalt
ZUR WALDORFPÄDAGOGIK
FACHPÄDAGOGISCHE BEITRÄGE
LEBENSBILDER
BUCHBESPRECHUNGEN
Titel | Journal für Waldorfpädagogik 04 - Oktober 2022 |
---|---|
Verlag | Bund der Feien Waldorfschulen |
Ausstattung | |
Umfang | 156 Seiten |
Format | 14,8 x 21 cm |